Foto: Catherin Schöberl
Website Somebody*ies
Foto: Catherin Schöberl

Im Interview berichten zwei Künstler*innen des Kollektivs somebody*ies, Nika Timashkova und Hannah Kindler, von ihrem Verständnis des kollektiven Arbeitens und der jeweils eigenen künstlerischen Praxis. Sie berichten vom überholten Künstlergenie, einem überkommenen Konkurrenzdenken, von Solidarität und Empowerment.

 

Somebody*ies ist ein transnationales Künstler*innen-Kollektiv, das in unterschiedlicher Konstellation seit dem Jahr 2020 besteht und künstlerische Positionen aus der Dreiländerregion (Deutschland, Frankreich und Schweiz) in sich vereint. Das Kollektiv vertritt das gemeinsame Anliegen die Geschichte und Arbeit von FLINTA* und queeren Personen mehr Sichtbarkeit zu verleihen und verkörpert eine, wie sie schreiben, queer-feministische und antikapitalistische Haltung. In den gemeinsam initiierten Ausstellungsprojekten treffen verschiedene künstlerische Disziplinen und unterschiedliche Materialien aufeinander. Als Ausstellungsdisplays werden oft ungewöhnliche Orte im öffentlichen Raum gewählt, die einen direkten Austausch mit den Anwohner*innen und aktive Communityarbeit ermöglichen.

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Out & About: Ihr beide arbeitet nun schon seit einigen Jahren gemeinsam im Kollektiv, wie habt Ihr Euch gefunden und wie hat sich das Kollektiv gebildet?

Nika Timashkova: Hannah und ich haben uns über das Dutch Art Institute (DAI) kennengelernt. Am ersten Schultag habe ich Hannah damals im Zug erkannt, auf dem Weg zum DAI. Während der gemeinsamen Studienzeit hat sich dann eine Freundschaft entwickelt, die bis heute hält.

Hannah Kindler: Wir haben damals herausgefunden, dass ich aus Freiburg und Nika aus Basel kommt. Als wir wieder hergezogen sind, haben wir uns total gefreut, dass wir beide in der Nähe voneinander sind und weiterhin Kontakt halten können. Wir hatten dann eine grosse Ausstellung zusammen im E-Werk (Freiburg) und haben uns gegenseitig immer mehr Leute vorgestellt. So kam dann auch Stella Meris dazu, they auch hier in Basel wohnt.

NT: Bereits 2019 dachten wir, dass es schön wäre, ein Kollektiv oder Netzwerk zu haben für Frauen und auch nicht-binäre Personen, um sich gegenseitig zu unterstützen. Das Kollektiv somebody*ies besteht aber erst seit 2020. Atelier Mondial hat ein Projekt mit Kunstschaffenden aus dem Dreiländereck organisiert und da haben wir Stella, Apo und Anna kennengelernt und beschlossen auch nach dem Projekt weiter zusammen zu arbeiten.

«Uns ist es wichtig, entgegen den bestehenden Strukturen das eigene Netzwerk miteinander zu teilen.»
Nika Timashkova

Und was hat es mit der Namensgebung auf sich?

NT: Früher, noch in anderer Konstellation, hiessen wir Miss_Platziert. Damals lag der Fokus mehr auf Frauen. Aber wir haben uns verändert, in unserer Arbeitsweise und auf persönlicher Ebene. Im Laufe dieses Prozesses haben wir gemerkt, dass wir mehr ansprechen wollen als Frauen im klassischen Sinne.

HK: Miss_Platziert bezog sich damals vor allem auf ein Deplatziert-Sein in der Gesellschaft und die Frage, ob du durch die Gesellschaft in einer Position platziert wirst oder die Möglichkeit hast, dich selbst, vielleicht an anderer Stelle, wo du dich besser repräsentiert fühlst, zu platzieren.

NT: Dann haben wir zusammen eine Arbeit entwickelt, in der es um Körperlichkeit, verschiedene Körper und um verschiedene «Jemande» ging.

HK: In der Schreibweise des Kollektivs wollten wir deutlich machen, dass diese verschiedenen Körper auch verschiedene Geschlechtsidentitäten haben können.

Metamorphisch zusammengesetzte Körper und puppenartige Gebilde tauchen auch in Euren persönlichen künstlerischen Praxen immer wieder auf. Gibt es Aspekte, die Eure künstlerischen Positionen vereinen?

NT: Wir beide arbeiten mit Textil und haben ähnliche Recherchefragen zur Textilwirtschaft und deren Machtstrukturen; oder zu Kolonialismus, also den Handelsbeziehungen innerhalb der Textilwirtschaft.

HK: Wir sind beide auch sehr interessiert an Theorie, aber nichtsdestotrotz sind wir leibliche fleischliche Wesen und diese Kopplung an das körperliche Erleben der Welt zeigen auch unsere Arbeiten.

NT: Die Kostüme oder Puppen, mit denen wir oft arbeiten, haben fast immer etwas mit dem Körper zu tun oder mit Teilen des Körpers. In unserer Praxis mit den Kostümen schwingt auch die Frage mit, wie eigentlich die Kleidung unseren Körper framed.

HK: Ja, die Frage, was macht so ein Kleidungsstück mit deinem Körpergefühl. Und da kommen wir wieder zu dieser Connection von Körper und Geist. Wenn Du aufgrund eines engen Rocks nicht rennen kannst, macht das auch was mit Deiner geistigen Konstitution.

NT: Es geht darum, aus diesen Mustern auszubrechen, auch körperlich und in der Kleidung. Das passiert schon ganz viel, aber im Mainstream oder bei Hochzeiten und Feierlichkeiten gibt es noch starke Normen.

HK: Ich glaube, der Fokus auf den Körper hat auch damit zu tun, dass ich als weiblich gelesene Person immer wieder auf meinen Körper reduziert werde. Und dass der Umgang von anderen Menschen mit meinem Körper ein ganz spezifischer ist.

«Ich glaube, der Fokus auf den Körper hat auch damit zu tun, dass ich als weiblich gelesene Person immer wieder auf meinen Körper reduziert werde.»
Hannah Kindler

Wie haben die Themen Feminismus und Queerness Eingang in Deine künstlerische Arbeit gefunden, Hannah?

HK: Ich habe schon lange gedacht, auch bevor ich Kunst gemacht habe, dass ich die Welt oft ganz anders wahrnehme als andere. In meinem Bachelorabschluss habe ich Arbeiten gemacht, wo es um ganz persönliche Erlebnisse ging. Später, als ich dann angefangen habe, feministische Theorie zu lesen, habe ich verstanden, dass meine Arbeiten ganz viel mit «Standpoint Knowledge» zu tun haben und das ganz viel, was mich interessiert, schon einen Namen hat. Mir geht es darum, dass Personen in ihrem ganz individuellen Erleben von Welt sichtbar gemacht werden und zu zeigen, dass das Erleben von Welt damit zu tun hat, wo Du geboren wurdest, wie Du aussiehst, wie Du aufgezogen wurdest. Ich will mehr als nur ich sein, ich will erleben, wie andere die Welt erleben und zeigen, wie ich sie sehe. In Anlehnung an Donna Harraway, geht es darum, durch das Erleben von anderen eine Art Netzwerk von Realitäten zu verknüpfen, um besser zu verstehen, was Welt ist.

Da fliessen auch persönliche Erfahrungen ein, mein eigenes Körpererleben zum Beispiel. Ich definiere mich als she und they und habe nicht das Gefühl, dass ich nur weiblich bin. Etwas, das ich schon recht früh erfahren habe und was immer wieder einen inneren Kampf ausgelöst hat. Aber ich glaube, dass man nie immer dieselbe Person ist, sondern sich ständig und je nach Kontext ändert. Das sichtbar zu machen, finde ich sehr wichtig. Das mache ich in meinen künstlerischen Arbeiten auch durch Kleidung, Puppen oder andere Gestalten, die ich als eine Art Erweiterung von mir selbst sehe.

Und wie würdest Du deine künstlerische Praxis und die Motivation dahinter beschreiben, Nika?

NT: Ich bin in der Ukraine geboren und beschäftige mich viel mit kultureller Identität. In der Schweiz, neben vielen positiven Erlebnissen, werde ich immer wieder mit Vorurteilen konfrontiert. Als ich noch ganz jung war, wollte ich damit nichts zu tun haben und habe mich stark assimiliert. Jetzt möchte ich aber genau das zum Thema machen und ein Gespräch eröffnen, um diese Umstände und Lebensrealitäten, die auch andere erleben, die nicht 100% so sprechen oder aussehen wie alle anderen sichtbar zu machen. Gerade in Basel haben so viele Personen einen Migrationshintergrund, da finde ich es einfach befremdlich, dass Leute davon ausgehen, dass es eine Art «Schweizer Norm» gibt, sowohl sprachlich als auch äusserlich.

Mir ist bei meinen Arbeiten wichtig, nicht mit dem Finger zu zeigen, sondern das Kulturelle und Genderspezifische spielerisch umzusetzen und aufzubrechen. Ich spiele mit stereotypen Attributen wie langen Fingernägeln, High Heels oder Haarverlängerungen, die an Gender oder bestimmte kulturelle Vorstellungen gekoppelt sind. Und ich versuche immer wieder mit diesen Attributen zu arbeiten und sie mir zurück anzueignen, Fragen aufzuwerfen oder zu zeigen, dass es doch nicht so einfach ist.

Zurück zum Kollektiv: Was motiviert Euch dazu, kollektiv und nicht solitär zu arbeiten?

HK: Wir hatten das Gefühl, dass wir eine alternative Supportstruktur brauchen, auch weil wir, wenn wir uns beispielweise für Open Calls alle einzeln bewerben, oft gegeneinander ausgespielt werden. Gerade Nika und ich, weil wir ähnliche Materialien verwenden.

NT: Für mich geht es auch darum, dass man die Strukturen grösser denkt als sich selbst. Und wenn man eine Möglichkeit bekommt, Sichtbarkeit zu erlangen, vielleicht noch jemand anderen dazu einlädt und diese Chance teilt, ohne dadurch etwas zu verlieren.

«Für mich geht es auch darum, dass man die Strukturen grösser denkt als sich selbst.»
Nika Timashkova

HK: Das Kollektiv hilft auch dabei, herauszufinden, was für Open Calls es überhaupt gibt, Kontakte zu knüpfen oder neue Kurator*innen und Kunsträume kennenzulernen. Es gibt einfach so viel Zusätzliches zu der künstlerischen Praxis, die man eigentlich auch ständig vorantreiben muss, dass wir uns gedacht haben, wenn wir all dieses Drumherum gemeinsam bearbeiten, dann profitieren wir alle davon.

Seht Ihr das kollektive Arbeiten grundsätzlich als Gegenentwurf zu den oftmals hierarchischen Strukturen der Kunstwelt?

HK: Für uns geht es im kollektiven Arbeiten vor allem um eine Repräsentation von dem, was vorher auch schon da war. Wir haben uns sowieso schon unsere Portfolios gezeigt und uns gegenseitig Feedback gegeben. Wir sind sowieso eng miteinander verbunden und das wird einfach nicht dargestellt, wenn man von einem einzelnen Künstlergenie ausgeht – es wird unsichtbar gemacht. Und deswegen ist es für mich vor allem ein Gegenentwurf zu der Idee des Künstlergenies, meistens männlich, das da ganz in seinem Atelier sitzt, grossartige Gedanken hat und wertvolle Kunst schafft. Mir geht es um das Abbilden der Realität und darum, zu zeigen, dass wir sozial miteinander sind, uns treffen, unsere Ideen aus einem gemeinsamen Denken entstehen und nicht in Isolation.

NT: Ganz genau. Uns ist es wichtig, entgegen den bestehenden Strukturen in der Kunstwelt, wo jede*r ganz eigene Kontakte, Kurator*innen und Kollaborationen hat, das eigene Netzwerk miteinander zu teilen. Es geht darum, sich zu ergänzen und sich mit den verschiedenen Talenten und Kapazitäten, die wir haben, zu unterstützen. Denn nicht jede Person kann alles; manche in unserem Kollektiv können gut Layouten, andere gut Schreiben oder sind sehr gut im Netzwerken. Wir versuchen zu zeigen, dass wir uns als Kollektiv gegenseitig ergänzen, anstatt eine Person in den Vordergrund zu stellen. Dieser Solidaritätsgedanke ist wichtig für uns.

HK: Wenn jemand wirklich gross rausgekommen ist, dann hat diese Person meistens ein ganzes Team hinten sich das bezahlt wird. Und wenn wir ganz ehrlich sind, muss man erst mal dahin kommen. Und bis man diesen Punkt erreicht, macht man das eben mit Freund*innen und Kolleg*innen. Das ehrlich zu kommunizieren und nicht so zu tun, als ob man als Genie auf die Erde runtergebeamt wird, ist uns ein wichtiges Anliegen.

Was ist Eure Erfahrung – fallen Eure Bemühungen auf fruchtbaren Boden oder trefft in der Förderstruktur oder bei Ausstellungen noch immer auf ein System, das vor allem auf Einzelkünstler*innen ausgerichtet ist und ein kollektives Arbeiten erschwert?

NT: Die Schwierigkeiten sind schon, dass Kurator*innen noch oft von dem Geniedenken und der Einzelperson ausgehen. Wir hatten schon öfters den Fall, dass bei Ausstellungen nur eine Person als Künstler*in genannt wurde, obwohl das Werk in kollektiver Arbeit entstanden ist.

HK: Das stimmt, manche tendieren dazu, weil sie das System so gewohnt sind, eine Person aus dem Kollektiv, die sie vielleicht schon kennen, hervorzuheben und die anderen eher als «Backgroundband» zu betrachten. Und das ist etwas, wo wir innerhalb des Kollektivs eine klare Linie fahren müssen. Das ist schon eine Gratwanderung, weil wir einerseits als Einzelpersonen Kontakte knüpfen und das auch in Ordnung ist, denn wir sind ja trotz Kollektiv auch Individuen. Und trotzdem muss klar sein, dass wir Teil einer Gruppe sind, in der wir alle gleichberechtigt sind.

NT: Und natürlich ist es was anderes, wenn wir als Kollektiv für eine Ausstellung eingeladen werden, dann müssen fünf anstelle von einer Person bezahlt werden.

Wie müsste sich die Kunstwelt oder auch die Förderlandschaft verändern, um für Euch und Euren Vorhaben zugänglicher zu sein?

NT: Die Hürden der Anträge müssten deutlich niedriger werden. Wir haben gerade einen Antrag bewilligt bekommen und darin einen Monatslohn pro Person erhalten, was toll ist. In der Vorbereitung haben wir aber deutlich mehr Zeit und Ressourcen reingesteckt.

Was für Projekte habt Ihr in der Vergangenheit als Kollektiv umgesetzt und welche Anliegen verfolgt Ihr mit euren Projekten?

HK: Beispielweise haben wir die Serie «Walk Their Path» entwickelt. Da geht es um mehr Sichtbarkeit im öffentlichen Raum für FLINTA oder queere Personen, nach denen Strassen benannt wurden. Wir haben uns bei diesem Projekt bewusst entschieden, uns nicht von Kunstinstitutionen abhängig zu machen, sondern den öffentlichen Raum zu nutzen. Das Projekt ist so gestaltet, dass es einen direkten Kontakt zu den Menschen vor Ort gibt. Gleichzeitig präsentieren wir das Projekt auch online auf unserer Website. Als Nächstes möchten wir den Bogen zu Kunstinstitutionen schlagen und eine Art Spiegelausstellung in einem Kunstraum in Weil am Rhein umsetzen.

NT: Damit möchten wir auch die beiden Formate, einmal das Projekt im öffentlichen Raum und dann im White Space miteinander vergleichen. Im öffentlichen Raum erreicht man natürlich ganz andere Personen, die sonst nicht in der Kunst-Bubble leben.

Künstler*innen des Kollektivs:

Nika Timashkova, Hannah Kindler, Stella Meris, Christina Huber, Anna Byskov, Apo Yasa

 

Interview von Catherin Schöberl